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Vor etwa 100 Jahren, zur Zeit des Ersten Weltkriegs, wurde in einem Tempel (Shioya Betsuin) in der Stadt Marugame ein Gefangenenlager für deutsche Soldaten eingerichtet. Über 300 Deutsche lebten dort etwa zweieinhalb Jahre lang.
In meinem Vortrag möchte ich das Leben in diesem Lager anhand des heute noch existierenden Lager-Tagebuchs und damaliger Fotografien vorstellen. Die Gefangenen wurden nicht zur Arbeit gezwungen und konnten einen Großteil ihrer Zeit kulturellen Aktivitäten widmen. Der Berufsmusiker Paul Engel gründete ein Orchester im Lager und organisierte Konzerte. Zum täglichen Ablauf gehörte auch ein Spaziergang, bei dem die Gefangenen an der nahegelegenen Küste Fußball oder Schlagball spielten. Betrachtet man die verwendeten Lebensmittel, erkennt man, dass die Gefangenen im Vergleich zur damaligen allgemeinen Bevölkerung in Marugame eine deutlich nahrhaftere Verpflegung erhielten. Es wurde sogar eine Lagerzeitung veröffentlicht, was auf ein relativ freies Leben innerhalb des Lagers hinweist.
Warum war ein solches Leben in einem Kriegsgefangenenlager möglich? Ich möchte in meinem Vortrag auf diese Frage eingehen und die Gründe und historischen Hintergründe beleuchten.
Der Kontakt zwischen den Gefangenen und der Bevölkerung von Marugame war grundsätzlich eingeschränkt. Dennoch verfolgten Anwohner mit Freude die Sportfeste, die vor dem Lagertor auf der Straße abgehalten wurden. Auch eine Ausstellung mit von den Gefangenen gefertigten Objekten zog viele Besucher an. In Erinnerung an diese Begegnungen zwischen deutschen Kriegsgefangenen und den Bürgern von Marugame vor 100 Jahren finden heute zwei Veranstaltungen in Marugame statt: Im August versammeln sich viele Bürger zum „Abend mit Bier und deutscher Musik“ auf dem zentralen Platz der Stadt, um bei Bier deutsche Musik zu genießen. Anfang Dezember wird im ehemaligen Lagergelände, dem Tempel Shioya Betsuin, ein Mini-Konzert von Beethovens 9. Sinfonie abgehalten.
Zwar ist die Existenz eines Kriegsgefangenenlagers ein trauriges Kapitel der Kriegsgeschichte, doch aus der damaligen Begegnung mit den deutschen Gefangenen heraus pflegt die Stadt Marugame heute eine freundschaftliche Beziehung zu Deutschland.
Keizo Tamura Geboren 1956 in Marugame, Präfektur Kagawa. 1975–1979: Studium der Neueren deutschen Geschichte an der Universität Kobe (Fakultät für Geisteswissenschaften). 1979–2019: Unterrichtete hauptsächlich Weltgeschichte an öffentlichen Oberschulen in der Präfektur Kagawa. Seit 2020: Lehre der Weltgeschichte an einer privaten Oberschule in Marugame. In dieser Zeit kontinuierliche Forschung über das deutsche Kriegsgefangenenlager im Tempel Shioya Betsuin während des Ersten Weltkriegs. Vizepräsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Kagawa.